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100 Jahre Steinkohlenbergbau in
Kamp-Lintfort
- Vom Beginn des 1. Weltkriegs bis zum Verkauf des Bergwerks an die Familie de Wendel (1914 - 1924) -
Letzte Aktualisierung dieser Seite: 13.10.2013
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Der 1. Weltkrieg und seine Auswirkungen auf den Bergbau in Kamp-Lintfort Die Entwicklung Lintforts und Camperbruchs bis zum Ende des 1. Weltkriegs Die Zeit der belgischen Besatzung und der Inflation Friedrich Heinrich in der Nachkriegszeit Ansichtskarten aus der Zeit des ersten Weltkriegs 1914 - 1918) und der belgischen Besatzung (1918 - 1926) mit Motiven der Steinkohlenbergwerk Friedrich Heinrich AG nach unten

Der 1. Weltkrieg und seine Auswirkungen auf den Bergbau in Kamp-Lintfort

Rückgang der Förderleistung und Einschränkung des Betriebes

Als am 1. August 1914 der 1. Weltkrieg ausbrach, hatte dies auch Auswirkungen auf das Bergwerk, denn 1.750 Mitarbeiter - das waren immerhin 50 Prozent der Belegschaft - wurden zur Reichswehr einberufen. Die unmittelbare Auswirkung war, daß die Fördermenge von 3.500 t auf unter 1.500 t zurückgefahren werden mußte. Zwar gelang es, die Förderung bis zum Ende des Jahres wieder auf 2.100 t zu steigern, aber dieser Wert lag deutlich unterhalb der ursprünglich geplanten 4.300 t.

Problematisch waren auch die Besitzverhältnisse, weil Deutschland sich mit Frankreich im Krieg befand. Bergwerkdirektor Albert Spaeth trat von seinem Vorstandsposten zurück und übernahm die Leitung der Süddeutschen Kohlenhandelsgesellschaft. Am 4. September ordnete der Staat die Überwachung ausländischer Unternehmen an. Die Aufsicht wurde an Kommerzienrat Gottfried Ziegler aus Düsseldorf per Erlaß des Ministers für Handel und Gewerbe vom 23. Dezember 1914 übertragen.

Das Berwerk gegen Ende des 1. Weltkrieges auf einer sehr seltenen Anischtskarte als Federzeichnung

Das Bergwerk unter Zwangsverwaltung und die Versteigerung der Aktien an die Rheinischen Stahlwerke

Die Zwangsverwaltung hatte auch zur Folge, daß Albert de Montplanet und sein Stellvertreter Jean Bonnardel ihre Post im Aufsichtsrat an die Düsseldorfer Kommerzienräte Trinkaus und Heye verloren. Auch die restlichen französischen Aufsichtsratsmitglieder verloren ihre Ämter.

Kommerzienrat Ziegler verkündete u.a.: "Herr Direktor Franz Brenner wird im Vorstand bestätigt. Die beiden Prokuristen, die Herren Bergassessoren Walter Etzold und Kaufmann Carl Noll, beide zu Lintfort wohnend, werden erneut zu Prokuristen bestellt."

1915 stieg die tägliche Förderleistung auf 2.281 t und 1916 auf 2.511 t. In den Jahren 1914 bis 1916 wurde Schacht 1 bis 530 m tiefer geteuft und die Endteufe von Schacht 2 betrug 466 m.

1917 wurden die Aktien, die einen Wert von 20 Mio. Mark hatten, auf Beschluß der Reichsregierung versteigert. Erwerber waren die Rheinischen Stahlwerke. Die Felder von Friedrich Heinrich und Rossenray, das den Rheinischen Stahlwerken ebenfalls gehörte, hatten gemeinsame Markscheiden, was neben dem Kaufpreis den Ausschlag gab. Die bisherige Aktiengesellschaft wurde in eine "Gewerkschaft Friedrich Heinrich" umgewandelt und als Betriebsabteilung in die Rheinische Stahlwerke AG eingegliedert.

In diesem Jahr und auch im Jahre 1918 betrug die Tagesförderung 3.070 t. Mit dem Waffenstillstand im November 1918 endete der 1. Weltkrieg, in dessen Folge das Deutsche Reich zu enormen Reparationsleistungen an die Alliierten verpflichtet wurde.

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Die Entwicklung Lintforts und Camperbruchs bis zum Ende des 1. Weltkriegs

Die Veränderung der Landschaft

Die Errichtung des Bergwerks veränderte das Landschaftsbild: ein 80 m hoher Förderturm und ein 120 m hoher Schornstein waren damals die höchsten Gebäude am Niederrhein. Dazu kamen Werkstätten und Magazine, Kohlenaufbereitungsanlagen, eine Kokerei, Kühltürme, ein Kohlenbunker und eine Anlage für betriebliche Elektrizitäts- und Drucklufterzeugung.

In der Umgebung des Bergwerks entstanden der 2 ha große Pappelsee, der bis 1962 als Badeanstalt diente. Vom Eyller Berg transportierte eine Seilbahn über Jahrzehnte Kies als Bau- und Füllmaterial für die abgebauten Flöze unter Tage. Im Berg selber entstand eine Müllkippe, die bis zum 31.12.1975 genutzt wurde. Die für die Zeche tätigen Unternehmer holten den für die Bebauung notwendigen Sand und Kies vom Niersenberg. Auf der ausgekiesten Fläche entstand später der Ehrenfriedhof für die in der Umgebung gefallenen Soldaten.

Die benötigten Arbeitskräfte wurden zunächst in den Nachbargemeinden rekrutiert, später aus allen Teilen Deutschlands: aus dem Ruhrgebiet, aus Schlesien, Sachsen, Ostpreußen, von der Saar, aber auch aus Österreich-Ungarn. Angesiedelt wurden die Arbeiter in einer von der Zeche selbst geplanten Siedlung, so daß in Lintfort die aus dem Ruhrgebiet bekannten, wild in die Landschaft verstreuten Werks- und Kleinsiedlungen vermieden werden konnten.

Die Entstehung der Zechensiedlung in Lintfort

Zunächst wurde östlich und westlich des Bergwerks gebaut, wobei die ersten Siedlungen werksnah angelegt wurden. Da es zu Beginn des 20. Jahrhunderts zwischen Arbeitern und Angestellten noch stark ausgeprägte Standesunterschiede gab, wurden beide Viertel von einander getrennt: die Arbeiter wohnten auf der Ost- und die Angestellten auf der Westseite um den Pappelsee herum. Bis 1945 erreichte die Arbeitersiedlung mit ca. 30 ha eine Größenordnung, die zwei Drittel der bebauten Fläche von Kamp-Lintfort darstellte.

Die Siedlungshäuser wurde in anderthalbgeschossiger Bauweise errichtet und hatten einen genormten Grundtyp. Durch leichte bauliche Veränderungen, wie z. B. einen Vorbau, anders gearbeitete Fassadenflächen oder Anbau eines Erkers, erhielt die Häuser ein individuelles Aussehen.

Am 21. September 1909 erteilte Bürgermeister Liermann der Zeche die Erlaubnis, insgesamt 160 Wohnungen zu bauen. An der Bauausführung war maßgeblich das Bochumer Unternehmen Conrad und Heinrich Bleckmann beteiligt. Im Jahr 1913 waren 1.356, 1915 schon 2.259 und 1928 2.823 Häuser errichtet. Das Wohngebiet östlich des Zechengeländes bot insgesamt 96 verschiedene Hautypen. Die heute "Altsiedlung" genannte Wohngegend wird im Norden durch die Moerser Straße, im Westen und Süden durch die Ringstraße und im Osten durch die August- bzw. durch die Pestalozzistraße begrenzt. Bis auf sieben Ausnahmen tragen die Straßen männliche und einige weibliche Vornahmen. Das Spektrum reicht von der Albert- bis zur Wilhelminenstraße. Der Hauptgrund für diese Straßennamen liegt wohl darin, daß der 1909 mit Lintfort geschlossene Bebauungsplan der Zeche Friedrich Heinrich ein Vorschlagsrecht einräumte. So leitet sich z. B. der Name der früheren Albertstraße (der vormaligen Straße Nr. 1 und späteren Ebertstraße) vom Vornamen des Kaufmännischen Direktors Albert Spaeth ab, während der Technische Direktor Franz Brenner bei der Namensgebung für die Franzstraße Pate stand. An Brenners Söhne lassen die Max- und die Walterstraße denken. Der Betriebsführer Georg Möller verewigte sich mit seinem Vornamen genauso wie die Johannstraße auf den Zechenbaumeister Johann Onnertz und die Elisabethstraße auf seine Tochter hinweist. Die Wilhelminenstraße schließlich erinnert an die bereits 1908 verstorbene Ehefrau Brenners.

Grundriß der Bergarbeitersiedlung vor 1927

Das Angestelltenviertel am Pappelsee und die Pauensche Siedlung

Das Angestelltenviertel rund um den Pappelsee, das seit 1907 entstand, wurde großzügiger geplant, da es zweigeschossige verklinkerte Doppelhäuser mit großen Gärten gab. Bis 1913 wurden 74 Wohnungen bereitgestellt. Insgesamt entstanden 39 Haustypen und 145 Wohneinheiten. Im Süden Camperbruchs errichtete das Bauunternehmen Conrad und Heinrich Bleckmann im Jahre 1910 eine kleinere Werkssiedlung der Friedrich Heinrich AG, die unter dem Namen "Conradstraße" bekannt ist.

Im Jahre 1913 gab es noch 400 Arbeitskräfte auf der Zeche Friedrich Heinrich, die über keine Werkswohnung verfügten und nicht in Lintfort wohnen konnten. Deshalb errichtete der Ziegeleibesitzer Pauen auf eigene Kosten in der damaligen Gemeinde Camperbruch nördlich der Moerser Straße im Bereich des Wilhelmplatzes und südlich des Petershofes die sog. "Pauensche Siedlung" mit 282 Wohnungen im Baustil der Zechenaltsiedlung. 1916 wurde die Siedlung von der Zeche gekauft.

Die Bevölkerungsentwicklung

Der Bevölkerungsstand eines Gebietes kann sich wesentlich eigentlich nur durch 1. Gebietsneugliederungen (Eingemeindungen), 2. Geburten und Todesfälle (natürliche Bevölkerungsbewegung) sowie 3. Zu- und Wegzüge (Wanderungsbewegung) nennenswert verändern. Da die Gemeindegrenzen auf dem Kamp-Lintforter Gebiet nicht nennenswert verändert wurden, ergibt sich eine Berechnung des Bevölkerungsstandes ausschließlich aus der Bilanzierung der natürlichen Bevölkerungsbewegung (Geburten und Todesfälle) und der Wanderungsbewegung (Zugänge und Wegzüge).

Schon am 31. Mai 1910 prognostizierte der "Grafschafter": "In größeren Massen werden Arbeiter und Beamte nach Lintfort strömen". Neben der beeindruckenden Zahl von Zuzügen insbesondere zwischen 1911 und 1913 und den negativen Bevölkerungsbilanzen in den Kriegsjahren 1915 und 1917 fällt die ab 1909 stark ansteigende und ihren Höhepunkt 1913 erreichende Abwanderungsbewegung ins Auge. Das Phänomen Abwanderung ist zwar bereits aus den Anfangsphasen der Industrialisierung in anderen Bergbauregionen bekannt, wurde jedoch für Kamp-Lintfort bisher weder der Sache noch dem Umfang nach belegt oder erörtert. Allein zwischen 1909 und 1913 zogen zwar 20.625 Menschen in einer der Gemeinden zu, doch wanderten im gleichen Zeitraum immerhin 11.744 Einwohner wieder ab, wobei beide Zahlen allerdings auch den Bevölkerungsaustausch zwischen den damaligen sechs Einzelgemeinden berücksichtigten.

Über den Fortgang des Baus der Bergarbeitersiedlung heißt es am 18. Juni 1913 im "Grafschafter": "Die Bauentwicklung hat jetzt plötzlich eine Stockung erfahren. Es war beabsichtigt gewesen, im Monat Juni noch 183 Wohnungen fertigzustellen, und die Bauleute hatten sich schon darauf eingestellt, als unerwartet der Bescheid kam, daß diese 183 Wohnungen von der Bergwerksgesellschaft nicht genehmigt worden seien. Der Grund liegt in der starken Abwanderung der Arbeiter. Die Zahl der demnächst Abkehrenden beträgt 17 Prozent. Die meisten der Abkehrenden sind Westfalen. Durch die starke Abwanderung sind nun ein großer Teil Wohnungen frei geworden. Der Weiterbau der neuen Wohnungen soll nach der Ernte wieder aufgenommen werden."

Zu Beginn der Zeche bestand die Belegschaft fast ausschließlich aus Ausländern. Der Umfang und das Wachstum der ausländischen Einwohnerschaft zur Zeit vor dem 1. Weltkrieg läßt sich allerdings nur bezüglich der polnischen Bevölkerungsgruppe nachvollziehen. Im Januar 1909 lebten nur sieben Polen in Lintfort, 1911 waren es schon 32. In Camp zählte man Anfang 1911 immerhin sieben und in Camperbruch sechs Polen sowie einen Masuren. 1913 waren es in Lintfort schon 64 Polen und 23 Masuren und in Camperbruch neun Polen und vierzehn Masuren. Ende 1913 schrieb der "Grafschafter" in seiner Ausgabe vom 13. Dezember: "Zur Zeit wohnen hier sieben verschiedene Völkerschaften: Franzosen, Deutsche, Polen, Holländer, Italiener, Slowenen und Siebenbürger". Die Existenz einer französischen Volksgruppe ist allerdings nie belegt worden und somit eher unwahrscheinlich.

Laut einem Bericht der katholischen Rektoratsgemeinde Lintfort I im ersten Halbjahr 1915 lebten in dieser Kirchengemeinde 8.159 Katholiken in 1.339 Familien (bei einer durchschnittlichen Familiengröße von 6,09 Personen), was einem Anteil von 54 Prozent der damaligen Einwohnerschaft auf Kamp-Lintforter Gebiet entsprach. Von diesen Familien sprachen 760 deutsch (56,76 Prozent), 215 polnisch (16,06 Prozent), 151 slowenisch (11,28 Prozent), 126 böhmisch (9,4 Prozent), 41 ungarisch (3,06 Prozent), 19 niederländisch (1,42 Prozent), 15 rumänisch (1,12 Prozent), sechs kroatisch (0,45 Prozent), fünf italienisch (0,37 Prozent) und eine slowakisch (0,08 Prozent). Abgesehen von der Möglichkeit der Mehrsprachigkeit, war in gut der Hälfte der erfaßten Familien die deutsche Sprache keine Fremdsprache. Unter den 379 katholischen Familien (= 3.466 Personen) mit nichtdeutscher Muttersprache dominierte die polnische Sprache.

Wie groß die Vorbehalte gegenüber den deutschsprachigen und ausländischen Zuwanderern waren, mag der Umstand veranschaulichen, daß der Lintforter Gemeinderat 1912 die traditionellen Waldbeerferien vor allem deshalb aufheben wollte, "weil durch die Industriebevölkerung Lintforts eine erhebliche Beschädigung der Felder und Feuergefahr für den Wald zu befürchten (sind)".

Die große Zuwanderung bedingte auch bedeutsame und dauerhafte Veränderungen im sprachlichen Bereich, denn im engeren Kamp-Lintforter Gebiet wurde vielfach eine Ausprägung des Deutschen gesprochen, die im Verlaufe der Industrialisierung den niederfränkischen Dialekt abgelöst und ihn in die ländliche Siedlungsrandzone verdrängte. Für diese Umgangssprache hat sich zwischenzeitlich die Bezeichnung "ruhrdeutsch" eingebürgert. Entstehung und Eigentümlichkeiten des Ruhrdeutschen, das sich auf allen Beschreibungsebenen von den Normen der neuhochdeutschen Standardsprache unterscheidet, werden landläufig oft auf den Zuzug polnischsprachiger Arbeiterfamilien zurückgeführt.

Der dauerhafte Kontakt zwischen Sprachen gilt zwar gemeinhin als ein wesentliche Ursache für Sprachveränderungen, aber eingehende Untersuchungen im Duisburger Raum haben zu dem Ergebnis geführt, daß sich von den Merkmalen des Ruhrdeutschen kein einziges auf den Einfluß der polischen Sprache oder die Sprachschwierigkeiten Deutsch lernender Polen zurückzuführen läßt. Das Ruhrdeutsch hat also einen anderen Ursprung, denn etwa 10 - 20 Prozent seiner Merkmale, die Auslassung von Mitlauten am Wortende, die Kürzung langer und die Tilgung kurzer Selbstlaute, beruhen auf dem Streben nach sprachlicher Kürze. Die Entsprechungen zwischen dem Ruhrdeutschen und den alten niederdeutschen Dialekten sind so grundlegend und umfassend, daß durchaus eine Entstehung des Ruhrdeutschen aus dem Niederdeutschen angenommen werden kann.

Die Entwicklung des Geschäftswesens

Die Jahre vor dem 1. Weltkrieg waren auch entscheidend bei der Herausbildung einer neuen wirtschaftlichen und kommunalen Struktur. Dies galt auch für die Entwicklung des Geschäftswesens. Die Moerser Straße - vor Beginn der Industrialisierung lediglich ein "Communalweg II. Classe" - durchzog das Siedlungsgebiet von Westen nach Osten und markierte zugleich in ihrem östlichen Teilbereich die Grenze zwischen Camperbruch und Lintfort. Bereits im Frühjahr 1910 - also kurz nach Beginn des Baus der Bergarbeitersiedlung und noch gut zwei Jahre vor Aufnahme der Kohleförderung - berichtete der "Graf-schafter" in seiner Ausgabe vom 31. Mai 1910: "Vor den Schachtanlagen der Zeche Friedrich Heinrich wachsen größere Geschäfts- und auch schon einige Privathäuser wie die Pilze aus der Erde hervor. Einige sind bereits bezogen und bieten in ihren Läden alles, was der einfache Sinn der allerdings verhältnismäßig geringen Arbeiterschaft begehrt. An der Moerser Straße, also der Verbindung nach der Kreishauptstadt, scheint sich zunächst das geringe gewerbliche und bürgerliche Leben sammeln zu wollen. Von den Schächten I und II strebt hierher die Arbeiterkolonie, und ihre Ausdehnung wird sich auf lange Jahre hinaus weiter in diese Richtung erstrecken".

Die Funktion der Moerser Straße als Hauptgeschäftsstraße hatte sich also bereits in der Frühphase der Industrialisierung herausgebildet. Das älteste Geschäftshaus, das Gebäude Moerser Straße 305, datiert aus dem Jahre 1908. Aber auch in der Bergarbeitersiedlung selber gab es einen schwunghaften Handel, wie der "Grafschafter" in seiner Ausgabe vom 4. Juli 1913 belegt: "Die Geschäftsleute beabsichtigen, an die Zechenverwaltung heranzutreten mit der Bitte, den Gewerbebetrieb in ihren Koloniewohnungen zu verbieten (...). Die Gewerbetreibenden haben sich fast in jeder Straße aufgetan, und zwar in Bier, Butter, Eier, Milch, Zigarren und Zigaretten, Papier und Schreibwaren". Dem Ansinnen der Geschäftswelt war jedoch kein Erfolg beschieden.

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Die Zeit der belgischen Besatzung und der Inflation

Eine Folge des 1. Weltkriegs war die Besetzung des Rheinlandes und am 13. Dezember 1918 rückten belgische Truppen in die Kreise Geldern und Moers ein. Die belgische Besatzungsmacht verbot die Arbeiter- und Soldatenräte. Wegen unzureichender Reparationsleistungen wurde am 11. Januar 1923 das Rheinland durch die französische Armee besetzt. Die Reichsregierung rief die Bevölkerung zum zivilen Ungehorsam auf. Auch die Bergleute auf der Zeche Friedrich Heinrich erklärten sich solidarisch, worauf die Belgier alle Zechentore besetzten und die Arbeiter in Rheindahlen bei Mönchengladbach internierten.

Das Bergwerk auf einer echt gelaufenen Ansichtskarte im Jahre 1919

Zu den politischen Unruhen nach dem 1. Weltkrieg kam die allgemeine materielle Not. Das Geld war immer weniger wert, Lebensmittel wurden knapp und teuer. Manche Geschäfte konnten sogar nur stundenweise öffnen. Im Oktober und November 1923 erreichte die Inflation ihren Höhepunkt und die Preise stiegen von Millionen auf Milliarden und dann sogar auf Billionen. Kurz vor Einführung der Rentenmark im November 1923 war 1 Billion Papiermark auf den Wert von 1 Goldmark gesunden. So kostete z. B. am 6. November 1923 in Kamp ein Zentner Roggen 14 Billionen Papiermark. Erst nach Einführung der Rentenmark konnte die Währung stabilisiert werden und es ging wieder bergauf.

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Friedrich Heinrich in der Nachkriegszeit

Die Wiedererrichtung der Friedrich Heinrich AG

1918/1919 war die 450-m-Sohle in Betrieb genommen worden, wobei allerdings die Kohle zur oberen 400-m-Sohle gehoben werden mußte. Die Förderung blieb in der Zeit von 1919 bis 1922 bei ca. 890.000 t nahezu konstant.

Im September 1921 erklärte ein deutsch-französisches Schiedsgericht in Den Haag die Enteignung der ehemaligen Besitzer für ungültig, worauf am 21. Dezember 1921 die Vermögenswerte auf die alten Eigentümer zurückübertragen wurden. Mit der Wiedererrichtung der Aktiengesellschaft wurden auch Franz Brenner und Albert Spaeth wieder im Vorstand bestätigt, nachdem 1920 der Bergassessor Werner Brand als zweiter Bergwerksdirektor eingetreten war und die Stelle von Herrn Etzold übernommen hatte.

Inflationszeit und passiver Widerstand an der Ruhr

Bedingt durch die allgemein schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse der Nachkriegszeit, die Inflation und politische Unruhen sank die Förderleistung 1923 auf 600.000 t ab. Die Durchschnittslöhne betrugen in der Zeit von Januar bis November 1923 4.971,- Mark für einen Gesteinshauer, 3.262,- Mark für einen Schlepper und 3.279,- Mark für einen Ziegeleiarbeiter. Auf dem Höhepunkt der Inflation im November 1923 bekam ein Bergmann 3,267 Mrd. Mark und nach Einführung der Rentenmark im Dezember 1923 betrug der Lohn 5,30 RM.

Das Jahr 1923 war auch das Jahr des passiven Widerstands an der Ruhr, den die deutschen Bergwerksgesellschaften mit Unterstützung der Reichsregierung gegen die französische und belgische Besetzung des Ruhrgebiets organisierten. Die Bergleute fuhren zwar an, erledigten aber kaum Arbeiten, die der Kohlengewinnung dienten, so daß die Besatzer keine Kohle beschlagnahmen und abtransportieren konnten.

Interessant in diesem Zusammenhang ist, daß selbst die französischen Eigentümer von Friedrich Heinrich dem deutschen Vorstand sagten, daß die Lintforter Zeche sich nicht von der Teilnahme am passiven Widerstand ausschließen könne.

Nach dem Ende der Hochinflation festigten sich die wirtschaftlichen Verhältnisse und 1925 wurden erstmals über eine Million Tonnen Kohle geförderte. Die 1.021.966 t entsprachen einer Tagesleistung von 3.580 t.

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Ansichtskarten aus der Zeit des ersten Weltkriegs 1914 - 1918) und der belgischen Besatzung (1918 - 1926) mit Moti-ven der Steinkohlenbergwerk Friedrich Heinrich AG

Die Lintforter Bergwerksgesellschaft beschäftigte um 1914 bereits 3.350 Menschen. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs am 1. August 1914 führte jedoch schon bald zur Einberufung von rund 1.700 Belegschaftsangehörigen der Lintforter Zeche. Diese richtete noch im August 1914 ein mit 20 Betten ausgestattetes Lazarett für Kriegsverwundete ein, das durch Angehörige des Vaterländischen Frauenvereins bzw. der Sanitätskolonne vom Roten Kreuz betreut wurde. Die Lintforter Gemeinderäte nahmen hiervon "freudigen Herzens Kenntnis".

Die Mehrbildkarte "Gruß aus Lintfort" mit vier Ansichten von Straßenzügen aus der "Colonieanlage der Zeche Friedrich Heinrich" und dem Lintforter Kreisstegstempel auf der Rückseite verschickte ein verwundeter Soldat aus dem "Vereinslazarett" (gemeint ist damit das Lazarett des Vaterländischen Frauenvereins) in Lintfort "bei Duisburg" am 22. Oktober 1915 per Feldpost, und zwar nach Klingenthal in Sachsen. Die Lintforter Arbeiterkolonie verfügte inzwischen bereits über 2.259 Wohnungen. Zu sehen sind Ansichten der Wilhelminenstraße (benannt nach der 1908 verstorbenen Ehefrau des Bergwerksdirektors Franz Brenner), der Franzstraße (benannt nach dem Bergwerksdirektor), des damaligen Konsumgebäudes im Bereich Lotharstraße/Kattenstraße sowie der Jakobstraße. Verlegt wurde diese Ansichtskarte, von der in Kamp-Lintforter Sammlerkreisen auch eine kolorierte Ausgabe sowie diverse Motivvarianten bekannt sind, von dem in einem Geschäftshaus an der Moerser Straße ansässigen Kaufmann H. J. Schmidt.

Mehrbildkarte aus dem Jahre 1915 mit vier typischen Lintforter Motiven

Rückseite der Feldpostkarte aus dem Jahre 1915

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und der vorübergehenden Machtausübung durch den Lintforter Arbeiter- und Soldatenrat hielten im Dezember 1918 belgische Besatzungssoldaten ihren Einzug. Auf dem Rathaus in Kamp wurde die belgische Flagge gehisst. Während der sich anschließenden Besatzungszeit, die bis zum 1. Februar 1926 andauerte und erhebliche Einschränkungen des gesellschaftlichen Lebens mit sich brachte, wurden von den belgischen Soldaten - über 1.000 an der Zahl - natürlich auch örtliche Ansichtskarten an Verwandte, Freunde und Bekannte in der Heimat verschickt.

Die abgebildete Karte, verlegt vom Kunstverlag Bernhard Wandt in Oberhausen, wurde am 24. Dezember (also Heiligabend) 1918 beschriftet: "Je suis toujours en Bochie" ("Ich bin immer noch in Deutschland"), schreibt der belgische Besatzungssoldat mit einer gewissen Verächtlichkeit gegenüber seinem jetzigen Aufenthaltsort. Auch gibt er seiner Hoffnung Ausdruck, daß der Empfänger seines Kartengrußes zum bevorstehenden Jahreswechsel nicht mehr so leiden müsse wie während der vergangenen vier Kriegsjahre. Die Vorderseite der Karte gewährt dem Betrachter einen ebenerdigen Blick auf das Zechengelände und die Gleise des Zechenbahnhofs. Wie fast immer, so weht auch auf dieser Ansicht der dunkle Rauch aus den Schornsteinen der Zeche in Richtung Osten und damit in Richtung der Arbeiterkolonie!

Ansichtskarte nach Belgien aus dem Jahre 1918

Gleich neun Motive finden sich auf der Mehrbildkarte "Gruß aus Lintfort", die am 8. April 1921 per Militär-post nach Belgien geschickt wurde. Sechs der neun Motive sind unmittelbar mit der Zeche Friedrich Heinrich und ihrer Hochbautätigkeit verbunden: das repräsentative Beamten-Casino an der Friedrich-Heinrich-Allee, das später, während des Zweiten Weltkrieges, durch britische Bomben zerstörte Konsumgebäude am Marktplatz in der Kolonie, der als solcher ebenfalls abgebildet ist, die Franzstraße mit der Silhouette der Zeche im Hintergrund, die Albertstraße (benannt nach dem aus Colmar stammenden kaufmännischen Direktor Albert Spaeth, später in Ebertstraße umbenannt) und die Kokerei. Aber auch die übrigen Motive wären ohne den Steinkohlenbergbau erst gar nicht entstanden: das Hotel "Friedrich Heinrich" von Moritz Schmitz an der Friedrichstraße, die 1914 fertig gestellte katholische Notkirche in Kamperbruch und die katholische Schule Lintfort II an der Moerser Straße (später: Barbara-Schule, heute: Altes Rathaus) mit dem vorgelagertem Jugendstilbrunnen auf dem De-Montplanet-Platz. Auch diese Karte wurde im Übrigen von dem Einwohner H. J. Schmidt verlegt.

Ansichtskarte mit neun Motiven aus dem Jahre 1921
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